Lesen, lesen, lesen …
Bildung galt als Chance für sozialen Aufstieg. Ein lesefreudiges Publikum entstand.
Da die maria-theresianischen und josephinischen Reformen des Bildungswesens Angehörigen aller Gesellschaftsschichten Zutritt ermöglichten, wurde mit Bildung auch sozialer Aufstieg möglich. Vor allem die Nachfrage nach Beamten vergrößerte sich, weil diese für die ständig wachsende staatliche Verwaltung benötigt wurden. Die universitäre Ausbildung wurde unter Joseph II. zu einer nützlichkeitsorientierten Berufsausbildung für Staatsdiener umgestaltet. Hier entstand neben dem vom zünftischen Handwerk geprägten Stadtbürgertum ein neues Bildungsbürgertum und trat in Konkurrenz zu ihm. Neben Beamten zählten Advokaten, Ingenieure, Journalisten, Professoren, Lehrer und Offiziere (durch ihre Ausbildung an der maria-theresianischen Militär-Akademie) zum Bildungsbürgertum. Bildung und Lesen gehörten zum Wertehorizont aufgeklärter Gesellschaftsschichten. In Literatenzirkeln und Salons wurden neue Werke vorgetragen, Leihbibliotheken in Wien und Prag eröffnet. Hausierer vertrieben Bücher auch in ländliche Gegenden.
Besonders populär war Johann Wolfgang Goethes Briefroman "Die Leiden des jungen Werthers" (1774), der förmlich ein Werther-Fieber auslöste. Selbst Werthers Kleidung - gelbe Hose, gelbe Weste und blauer Rock avancierte zum Modeschrei in vielen deutschen Ländern und in Wien. Weil auch der Selbstmord des Romanhelden nachgemacht wurde, dachte man sogar daran, das Werk zu verbieten.
Die "Leserevolution" machte auch viele andere Bücher für breitere Bevölkerungsschichten erschwinglich und für Frauen zugänglich. Eine Entwicklung gegen die sich bald auch vor der zunehmenden Lesewut aus sicherheitspolizeilichen Gründen warnende Stimmen erhoben.