Was las man im Mittelalter? Höfische und bürgerliche Lektüre

Neidhart-Grab an der Südseite des Wiener Stephansdoms

Neidhart-Grab an der Südseite des Wiener Stephansdoms

Neidhart-Grab an der Südseite des Wiener Stephansdoms, mit einer liegenden Figur und einer Schwankszene

Den Großteil mittelalterlicher Literatur bildeten theologische Schriften und Erbauungsliteratur, die den religiösen Horizont des Lesepublikums erweitern und die Kenntnisse in der Glaubenslehre vertiefen sollten. Dazu kamen Fachtexte und die schöne Literatur.

Neidhart-Grab an der Südseite des Wiener Stephansdoms

Neidhart-Grab an der Südseite des Wiener Stephansdoms

Neidhart-Grab an der Südseite des Wiener Stephansdoms, mit einer liegenden Figur und einer Schwankszene

Ein überwiegender Teil mittelalterlicher Literatur richtete sich an ein breites Publikum Frommer. Psalter – Andachtsbücher für Laien – waren weit verbreitet. Sie wurden später von Stundenbüchern abgelöst, kleinen, unscheinbaren Büchern für Stadtbürger, die im 15. Jahrhundert so viel verwendet wurden, dass kaum Exemplare erhalten sind. Die Bibel wurde gekürzt und ergänzt, Bibelkommentare zum leichteren Verständnis des Inhaltes verfasst, auch Übersetzungen in die Volkssprachen entstanden – für die private Lektüre Geistlicher, aber auch für Laien. Neben der geistlichen Literatur waren Texte zur Jurisprudenz, der Naturlehre, die eng an die Theologie gekoppelt war, sowie Reisebeschreibungen verbreitet.

Für das späte Mittelalter kann mit einem relativ hohen Frauenanteil unter den Lesenden gerechnet werden. Viele volkssprachliche Werke geistlichen Inhalts waren Frauen gewidmet oder als Lesestoff für sie bestimmt, hochgestellte Frauen traten auch als Förderer von Schreibenden auf.

Jeder Hof beschäftigte einen oder mehrere Dichter zum Zwecke der Repräsentation. An der adeligen Literatur waren die internationalen Beziehungen zwischen den Höfen ablesbar: Romanstoffe aus Frankreich gelangten nach England und später nach Deutschland, wo Nachdichtungen in der Volkssprache entstanden. Ab dem 13. Jahrhundert wurde an den Höfen die volkssprachliche Dichtung gefördert, Eigenproduktionen sowohl von Minnelyrik als auch weltlicher Epik waren die Folge. Die höfische Literatur stellte meist die ritterliche Lebensform in idealisierter Weise dar, schilderte das vorbildliche Verhalten der Ritter in Standes- und Minnefragen und beklagte den Verlust der ritterlichen Tugenden.

Der Hof des habsburgischen Herzog Ottos des Fröhlichen (1301–1339) bildete ein Zentrum des literarischen Schaffens seiner Zeit: Otto gründete eine Rittergesellschaft und interessierte sich vor allem für traditionelle höfische Dichtung, aber auch Schwankliteratur. Ende des 13. Jahrhunderts entwickelten sich auch die Städte zu Zentren der literarischen Produktion und Rezeption.

Julia Teresa Friehs