Karl Luegers Aufstieg zum Bürgermeister
Polarisierend und mit gekonnter Rhetorik überzeugte Karl Lueger in den Wahlen zum Wiener Bürgermeister seine Anhänger. Die jüdische Bevölkerung und Kaiser Franz Joseph I. fanden den Wahlsieg des Koloss von Wien aber alles andere als erfreulich.
Aus einer Rede des Bürgermeisters Karl Lueger in der am 20. Juli 1899 abgehaltenen Versammlung des christlich-sozialen Arbeitervereins in Wien, in: Weiningers Nacht, Europa-Verlag, Wien 1989Luegers aggressiver, politischer Antisemitismus kommt in folgender Rede zum Ausdruck:
"Hier in unserem Vaterlande Österreich liegen die Verhältnisse so, daß sich die Juden einen Einfluß erobert haben, der mit über ihre Zahl und Bedeutung hinausgeht. (Zwischenruf: Sehr wahr!) In Wien muß der arme Handwerker am Samstag nachmittag betteln gehen, um die Arbeit seiner Hände zu verwerten, betteln muß er beim jüdischen Möbelhändler. (Sehr richtig!) Der Einfluß auf die Massen ist bei uns in den Händen der Juden, der größte Teil der Presse ist in ihren Händen, der weitaus größte Teil des Kapitals und speziell des Großkapitals ist in Judenhänden und die Juden üben hier einen Terrorismus aus, wie er ärger nicht gedacht werden kann. Es handelt sich uns darum, in Österreich vor allem um die Befreiung des christlichen Volkes aus der Vorherrschaft des Judentums."
Dem Hofrat der Revolution, wie Victor Adler genannt wurde, stand der "Koloss von Wien", Karl Lueger, gegenüber. Als Führer der Christlichsozialen rekrutierte er seine Wählerschaft aus den Kleingewerbetreibenden, die sich vor allem nach dem Börsenkrach von 1873 zunehmend durch den Kapitalismus bedroht fühlten. Lueger setzte auf eine antikapitalistische, antiindustrielle und vor allem antisemitische Propaganda. Seine extremen Polarisierungen richteten sich gegen die Mächtigen, Liberalen, Kapitalisten und Aristokraten. Im Feindbild des 'kapitalistischen Juden' fand er den Ursprung allen Übels. Viele der in Wien lebenden Juden konnten sich im Bildungs- und Wirtschaftsbürgertum etablieren.
Luegers autoritärer und antisemitischer Führungsstil – den sich auch Adolf Hitler zum Vorbild nahm und dessen fatale Folgen bekannt sind – brachte ihm 1895 den Wahlsieg und damit das Amt des Bürgermeisters von Wien ein. Antreten konnte er das Amt erst nach mehrmaliger Wahlwiederholung im Jahr 1897, da Kaiser Franz Joseph seine Ernennung wegen des radikalen Antisemitismus mehrmals abgelehnt hatte.
Durch den Einfluss der Massenparteien musste sich Kaiser Franz Joseph gegen Ende des 19. Jahrhunderts immer mehr dem Willen der Bevölkerung fügen. Zudem wurde der Nationalitätenkonflikt immer offensiver. Die Monarchie war außenpolitisch und innenpolitisch instabil geworden, was schließlich auch zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges führte