"Elender Geschmack": Zensurbedürftiges deutsches Theater
Die oberen Stände taten das deutschsprachige Theater als nicht vornehm genug ab – die teils aus dem Stegreif entwickelten Burlesken und groben Späße sprachen vermehrt den weniger gebildeten Teil des Publikums an.
Joseph von Sonnenfels (1732–1817) 1770 an Joseph II.Die Überzeugung ist gleichwohl nicht so allgemein, daß die Zote und das Fratzenspiel nicht noch immer so viele und mächtige Anhänger haben sollte, welche die Erschütterung ihrer Lunge der Bildung der Nation vorziehen und durch geheime Wege den nur erst keimenden guten Geschmack zu ersticken alle Mühe daran werden. […] Giebt es nicht mehrere Classen der unteren Bürger, welchen der Staat nach durchgearbeitetem Tage eine Erholung zu verschaffen verpflichtet ist? Wäre es nun aber gleichgiltig, diesen Theil Bürger entweder in eine Gauklerbude hinzuschicken, wo sie die Albernheiten eines Possenreißers und seine Unfläthigkeiten mit Ekel anhören müssen, oder ihnen ein gesittetes Vergnügen zu verschaffen, wo sich ihre Stirne, ohne den Anstand schamroth zu machen, aufheitern kann? Der Mann aus der mittleren Classe bedarf es sogar noch weit mehr, dass der Staat ihm eine anständige Ergötzung zu verschaffen suche, als der Adel.
Theaterkalender von Wien für das Jahr 1772.Es wurde nämlich die Theatralcensur, welche sich vorhin blos auf Anstößigkeiten gegen Religion und Staat, und grobe Verletzung der Sitten, beschränket hatte, auch auf den Unsinn erweitert, und zugleich festgesetzt, daß den Vorstellungen immer ein Censor beywohnen sollte, welcher die Gewalt hätte, die dagegen etwan durch extemporirte Zusätze gewagten Vergehungen, auf der Stelle zu ahnden.
Reformeifrige Kritiker wie Joseph von Sonnenfels beschwerten sich über den "elenden Geschmack" der WienerInnen. Sie bemängelten, dass auf den Wiener Bühnen mehr als in anderen Städten des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation Hanswurstspäße getrieben wurden. Die Schuld daran wiesen sie nicht zuletzt der Regierung zu, die den Zweck des Theaters nicht in der Bildung, sondern in der "Ergötzung" sah. Oder darin, wie es in einem amtlichen Schriftstück aus dem Jahr 1741 hieß, "die Leute vor denen privat und öfters zu gefährlichen Absichten veranlassenden conventiculis oder Zusammenkünften abzuhalten".
In seinem fiktiven Werk "Briefe über die wienerische Schaubühne" strebte Sonnenfels im Sinne der Aufklärung eine "gereinigte Schaubühne" – angelehnt an Gotthold Ephraim Lessings "Hamburgische Dramaturgie" (1767–1769) – an, also ein regelmäßig gebautes, hochsprachliches Drama mit logischem Handlungsablauf und vernunftbestimmtem, würdigem Inhalt. Insbesondere verurteilte er das Extemporieren, die stegreif gesprochenen Texte in den Hanswurstkomödien, die dem Volksmund entsprachen und Obrigkeiten verhöhnten.
Maria Theresia, die in Theaterfragen von kirchlichen Ratgebern beeinflusst war, stellte ganz bestimmte Grundforderungen an die Stücke: Religion und Moral durften nicht verletzt werden und die Ideen der Aufklärung durften nicht in Atheismus und Freigeisterei münden. Daher setzte sie 1749 zur Kontrolle eine Bücherzensurkommission und 1770 eine spezielle Theaterzensur ein.
Die Reinigung der Sprache sollte der Bildung der Nation dienen, die Bühne vielmehr ein Ideal als ein satirisches Abbild der Gegenwart vorführen.