„Wenn sie kein Brot haben, dann sollen sie doch Kuchen essen!“

Joseph Fernande: Marie Antoinette, Büste, 1779

Dieser Satz, der Marie Antoinette oftmals in den Mund gelegt wurde, ist von ihr niemals gesagt worden. Er ist aber zum Sinnbild für das Unverständnis Marie Antoinettes – und der adeligen Eliten des Ancien Régime generell – gegenüber den sozialen Problemen der Zeit geworden.

Joseph Fernande: Marie Antoinette, Büste, 1779

Nun, da für Nachwuchs gesorgt war, sah sich Marie Antoinette von einer schweren Last befreit. Sie begann der zeremoniellen Sterilität des Hoflebens, wo ihr kein Privatleben zugestanden wurde, zu entfliehen. Ihr Zufluchtsort wurde das Petit Trianon, ein elegantes Schlösschen im Versailler Park, wo sie sich mit einer exklusiven Gemeinschaft Vertrauter umgab. Die traditionellen Eliten des Hofes und selbst der König hatten hier nur ausnahmsweise Zutritt. Das Sinnbild des exzentrischen Lebensstils der Königin wurde das „Hameau de la Reine“, ein künstlich angelegter Weiler von Bauernhäusern. Marie Antoinette erschuf eine ländliche Fantasiewelt, wo eine künstliche dörfliche Idylle die Steifheit bei Hofe ablösen sollte. Die Suche nach Natürlichkeit lag ganz im Zeitgeist der beginnenden Romantik.

In dieser Zeit lernte Marie Antoinette auch den schwedischen Adeligen Axel von Fersen kennen. Die Art ihrer Verbindung ist bis heute nicht ganz geklärt, eine Liebesaffäre jedoch nicht auszuschließen.

Durch ihr Fernbleiben vom Hof brüskierte sie die einflussreiche Hofgesellschaft. Der Vorwurf der Vernachlässigung ihrer Pflichten als Königin, Gemahlin und Mutter machte die Runde und wurde von ihren zahlreichen Gegnern bei Hof in die breitere Öffentlichkeit getragen. Verstärkt wurde die immer offener werdende Kritik an der Königin durch die angespannte Finanzlage, da Frankreich mit enormen Mitteln den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg gegen Großbritannien unterstützte. Im Volk sah man jedoch die Verschwendungssucht der Königin als Grund für die Misere. Für Marie Antoinette bürgerte sich der Spottname „Madame Deficit“ ein. Der Hass auf die Königin steigerte sich auch aufgrund einer Flut von Schmähschriften und Flugblättern voller – meist obszöner – Verleumdungen gegen den frivolen Lebensstil der extravaganten Gesellschaft des Petit Trianon. Der Königin wurden sexuelle Ausschweifungen vorgeworfen, der König wurde als unfähig dargestellt.

Marie Antoinette ignorierte den wachsenden Hass und realisierte die Tragweite der gegen sie agierenden Polemik nicht. Der Tiefpunkt war erreicht, als 1785 die sogenannte Halsbandaffäre publik wurde. Es ging dabei um ein überaus kostbares Diamantencollier, das unter betrügerischer Verwendung des Namens der Königin ohne deren Wissen verschwand. Obwohl die Unschuld der Königin erwiesen werden konnte, hatte diese Sache einen enormen Popularitätsverlust zur Folge. Allein dass ihr eine Mitwirkung in der Affäre allgemein zugetraut wurde, zeigt, wie tief das Ansehen Marie Antoinettes bereits gesunken war.

Erst jetzt erkannte sie den Ernst der Situation. Die Versuche, die Kritik zu entkräften, blieben jedoch erfolglos. Die politische und finanzielle Lage im Königreich war angespannt und König Ludwig XVI. heillos überfordert. Nun schaltete sich Marie Antoinette ein: sie nahm an den Sitzungen des Königlichen Rates teil und gab sich nach dem Vorbild Maria Theresias als aktive Landesmutter. Doch fehlte es ihr an politischem Instinkt. Unerfahren und naiv verschlimmerte sie mit ihrem Eingreifen die Lage.

1789 erforderte der Reformdruck die Einberufung der Generalstände: die Vertreter des Adels, der Kirche und des „Dritten Standes“ (also des städtischen Besitzbürgertums) aller Teile des Königreiches traten zu einer Art Parlament zusammen. Immer stärker rückte die Forderung nach einer Verfassung in den Vordergrund, die die absolute Königsmacht beschneiden sollte. Ludwig XVI. reagierte unschlüssig, sodass nun Marie Antoinette die Initiative übernahm. Sie drängte auf eine militärische Lösung: königstreue Truppen sollten in einem Staatsstreich die Ständeversammlung auflösen. Mit ihrem aktiven Eingreifen machte sie sich nun zum Sprachrohr der Königsmacht. War sie zuvor nur als unmoralisches Luxusgeschöpf verunglimpft worden, wurde Marie Antoinette nun für die revolutionären Kräfte zum allgemeinen Feindbild, zur Verkörperung des verhassten Regimes.

Martin Mutschlechner