Tableau mit Porträts von Erzherzog Otto, seiner Gemahlin Maria Josefa von Sachsen sowie Erzherzog Carl Franz Joseph (dem späteren Kaiser Karl I.), um 1895

Otto, der „schöne Erzherzog“

Tableau mit Porträts von Erzherzog Otto, seiner Gemahlin Maria Josefa von Sachsen sowie Erzherzog Carl Franz Joseph (dem späteren Kaiser Karl I.), um 1895

Erzherzog Otto, genannt „Bolla“, gilt als einer der skandalumwittertsten Habsburger. Dabei begann sein Leben wie eine klassische Habsburger-Biografie: Otto entstammte einem streng katholischen Elternhaus und durchlief eine typische Offizierslaufbahn, wie es für nachgeborene Söhne des Dynastie vorgesehen war.

Tableau mit Porträts von Erzherzog Otto, seiner Gemahlin Maria Josefa von Sachsen sowie Erzherzog Carl Franz Joseph (dem späteren Kaiser Karl I.), um 1895

Otto kam am 21. April 1865 in Graz als zweiter Sohn von Erzherzog Karl Ludwig, einem Bruder Kaiser Franz Josephs, und dessen zweiter Gemahlin Maria Annunziata von Bourbon-Sizilien zur Welt. Als Kind kränklich, wurde der Erzherzog von seiner Umgebung verwöhnt und umsorgt.

Der Prinz wird als freundlich und herzlich beschrieben, ganz im Gegensatz zu seinem verschlossenen älteren Bruder Franz Ferdinand, der Zeit seines Lebens auf den Jüngeren eifersüchtig war. Begabt, liebenswert und lebenslustig entwickelte sich der Erzherzog zu einem überaus gut aussehenden Mann.

Auch bei seiner Eheschließung fügte er sich in die Vorgaben des Hofes und heiratete im Jahre 1886 Maria Josefa (1867–1944), die Tochter des späteren sächsischen Königs Georg und der Infantin Maria Anna von Portugal. Die Braut galt als überaus fromme und den Konventionen des Hofes angepasste Frau. Aus der Ehe mit Maria Josefa stammten der spätere Kaiser Karl (1887–1922) sowie ein weiterer Sohn Maximilian Eugen (1895–1952). Der jüngere Bruder des letzten Kaisers begann zunächst eine Offizierslaufbahn in der k. u. k. Armee und lebte nach dem Untergang der Monarchie in der Schweiz und in Deutschland, wo er als Jurist tätig war. Seine Nachkommen leben in Deutschland.

Der Erzherzog sorgte jedoch wegen seiner zahlreichen außerehelichen Beziehungen und seines ausschweifenden Lebensstils für Skandale, die in der Öffentlichkeit, aber auch in der Kaiserfamilie große Entrüstung hervorriefen.

In das Reich der gern tradierten Anekdoten ging ein Vorfall ein, als Otto während einer Orgie im Hotel Sacher nackt und nur mit seinem Säbel und dem Orden des Goldenen Vlieses bekleidet durch die Korridore torkelte und der Frau des britischen Botschafters in die Arme lief, was ein diplomatisches Nachspiel haben sollte.

Ein weiterer Skandal führte sogar zu einer Anfrage im Reichsrat: Einige hohe Herren, Mitglieder des Erzhauses, deren Namen nicht genannt wurden – es war jedoch ein offenes Geheimnis, dass sich Otto darunter befunden hatte – sollen bei einem Ausritt auf einen Leichenzug getroffen und vor lauter Übermut im Galopp über den Sarg gesprungen sein. Der sozialdemokratische Abgeordnete, der die Anfrage einbrachte, wurde wenige Tage darauf von einem Schlägertrupp brutal zusammengeschlagen.

Dies war umso peinlicher, als Otto in der Thronfolge sehr weit oben stand. Nach dem Selbstmord von Kronprinz Rudolf war nur mehr sein älterer Bruder Franz Ferdinand vor ihm gereiht. Dieser litt jedoch an einer tuberkulösen Lungenerkrankung, sodass sein angeschlagener Gesundheitszustand eine Eignung als Regent fraglich erscheinen ließ. Otto, dem man als standesgemäßen Wohnsitz das Augartenpalais in Wien zugeteilt hatte, wurde vermehrt für Repräsentationsaufgaben herangezogen, was sein Bruder als Zurücksetzung empfand und ihn mit großer Eifersucht erfüllte.

Die Ehe des Erzherzogs war von der Ungleichheit der Charaktere der Eheleute überschattet. Maria Josefa fand Rückhalt in ihrer tiefen Religiosität und überwand so die Demütigungen rund um die Skandale ihres Gatten. Otto machte seiner Frau das Leben wahrlich zur Hölle: So konnte er nach einer durchzechten Nacht erst im letzten Moment davon abgehalten werden, in das Schlafzimmer seiner Gattin einzudringen, um seinen ebenfalls sturzbetrunkenen Offizierskollegen „eine Nonne“ zeigen zu können. Die Ehe war zuletzt nur mehr pro forma aufrecht, da eine Scheidung nicht möglich war. Die Eheleute hatten kaum Kontakt zueinander.

Otto war ein Lebemann, der unzählige außereheliche Beziehungen hatte. Neben seinen ehelichen Kindern hatte er auch einige uneheliche Nachkommen, von denen er manche offiziell anerkannte und ihnen somit eine Grundversorgung zukommen ließ. Ein Sohn stammte aus der Beziehung mit der Ballettänzerin Marie Schleinzer sowie eine Tochter aus der langjährigen Liaison mit der Sängerin Louise Robinson.

Bei seinen sexuellen Eskapaden infizierte er sich mit der Syphilis. In Ermangelung einer wirksamen medikamentösen Behandlung bedeutete dies damals ein langes qualvolles Siechtum. Die Folgen der Infektion waren bei Otto derart massiv, dass er aus der Öffentlichkeit verschwand: Seine Nase war deformiert und musste mit einer Prothese aus Kautschuk ersetzt werden. Sein Kehlkopf zersetzte sich, was äußerst schmerzhaft und durch die Geruchsentwicklung des verfaulenden Gewebes ekelerregend war. Otto verbrachte seine letzten Lebensjahre in Abgeschiedenheit in einer Döblinger Villa, gepflegt von „Schwester Martha“, hinter der sich seine letzte Geliebte, die Operettensängerin Louise Robinson, verbarg, die ihm bis zuletzt die Treue hielt. Nur seine Stiefmutter Erzherzogin Maria Theresia, die ihn regelmäßig besuchte, hielt den Kontakt zum Haus Habsburg aufrecht.

Der erst 41jährige Otto wurde von seinem Leiden am 1. November 1906 erlöst. Sein Leichnam ist in der Wiener Kapuzinergruft begraben.

Seine Witwe Maria Josefa trat erst nach dem Tod des ungeliebten Gatten aus dessen Schatten heraus und überlebte ihn um etliche Jahre. Nach der Thronbesteigung ihres ältesten Sohnes Karl ging sie in der Rolle der stolzen Kaisermutter auf, engagierte sich während des Ersten Weltkrieges in der Pflege von Verwundeten und folgte schließlich ihrem Sohn ins Exil. 

Martin Mutschlechner