Leopold I. und der Kampf um die Hegemonie in Europa

Die Erfolge in den Türkenkriegen waren eine Trumpfkarte Kaiser Leopolds im Spiel der europäischen Großmächte. Der österreichische Zweig der Habsburger sah sich dank der Kaiserwürde über die anderen Herrscherdynastien Europas erhaben.

Dieser Hegemonieanspruch der Habsburger wurde vor allem von Frankreich infrage gestellt, das unter dem Sonnenkönig seine Glanzzeit erlebte. Während der Regierungszeit Ludwigs XIV. wurde Frankreich zur wirtschaftlich und militärisch stärksten Macht Europas. Der monarchische Absolutismus fand in Ludwigs Regentschaft seine archetypische Ausprägung: Versailles war für die höfische Kultur der Barockzeit das Vorbild schlechthin.

Leopold, der habsburgische Gegenspieler Ludwigs, stützte sich auf den Nimbus der kaiserlichen Majestät. Das Oberhaupt des Heiligen Römischen Reiches verstand sich als   erster Monarch der lateinischen Christenheit. Der mittelalterliche Kaisermythos wurde propagandistisch verstärkt durch die habsburgischen Erfolge gegen die Osmanen, die auch das Reich von der Türkengefahr befreiten. Nicht zuletzt stand auch die Kunst im Dienste der Verherrlichung der kaiserlichen Macht.

Der Wettkampf um die Vormachtstellung hatte eine lange Abfolge von kriegerischen Konflikten zur Folge. Frankreich war auf Expansionskurs und vergrößerte sein Territorium durch die Annexion von Gebieten des Heiligen Römischen Reiches mit dem Ziel, den Rhein als Grenze durchzusetzen. Dies brachte den Kaiser in Zugzwang: Um in den Augen der Reichsfürsten als Reichsoberhaupt und Beschützer der territorialen Integrität des Reiches bestehen zu können, musste Leopold trotz seines Engagements im Krieg gegen die Türken auch den Konflikt mit Frankreich wagen, selbst auf die Gefahr eines Zweifrontenkrieges hin.

Das bestimmende Thema im habsburgisch-bourbonischen Konflikt war die spanische Erbfolge. Die ältere Linie der Habsburger, die die spanische Krone seit 200 Jahren innehatte, war im Aussterben begriffen. Deren letzter männlicher Vertreter, König Karl II., war das Ergebnis generationenlanger Inzucht und ein Zerrbild, in dem sich der Niedergang des spanischen Weltreiches abzeichnete.

Es entspann sich ein Wettstreit um das spanische Erbe, denn der spanische Thron wurde gleichermaßen von den französischen Bourbonen wie den österreichischen Habsburgern beansprucht. Beide Dynastien begründeten ihre Ansprüche mit den über Generationen hinweg vollzogenen Eheschließungen mit den spanischen Habsburgern. So gelang es Ludwig, 1659 die Hand von Maria Teresa, der älteren Tochter König Phillips IV., zu erlangen. Leopold versuchte ebenfalls eine Tochter des spanischen Königshauses zu gewinnen: 1666 wurde ihm schließlich mit einiger Verzögerung die jüngere Tochter Margarita Teresa zugesprochen.

Der Konflikt eskalierte nach dem Tod des letzten spanischen Habsburgers im Jahr 1700. Zum Entsetzen des Wiener Hofes hatte Karl II. in der letzten Fassung seines Testamentes den französischen Kandidaten für den spanischen Thron, Philipp von Anjou, einen Enkel des Sonnenkönigs, begünstigt.

Dies wurde vom Wiener Hof nicht anerkannt. Unterstützung fand Kaiser Leopold bei  anderen Mächten Europas. Vor allem Großbritannien wollte im Sinne der Gleichgewichtspolitik eine Übermacht Frankreichs verhindern. Eine antifranzösische Allianz wurde geschlossen, die das Haus Habsburg in seinem Vorhaben unterstützte, weiterhin die spanische Krone zu tragen. Leopolds Plan war es, seinem älteren Sohn Joseph die Kaiserwürde und die Herrschaft über die mitteleuropäischen Gebiete der Habsburgermonarchie zu sichern und den jüngeren Sohn Karl als König von Spanien durchzusetzen. 1701 begann der Spanische Erbfolgekrieg, der bis 1714 andauern sollte. Leopold erlebte aber nur mehr die Anfangsphase dieses gesamteuropäischen Konfliktes, denn er verstarb 1705.

Martin Mutschlechner