Eine diplomatische Meisterleistung

Erzherzogin Leopoldine, Tochter des Kaisers Franz II./I. und spätere Kaiserin von Brasilien, Ölgemälde, um 1815

Das Kaiserreich Brasilien brauchte die internationale Anerkennung seiner Unabhängigkeit. Leopoldina überzeugte ihren Vater Kaiser Franz I. zur Allianz.

St. Christoph (Rio de Janeiro), den 6. April 1823.

Theuerster Papa!

...Brasiliens Größe ist von dem höchsten Interesse für die europäischen Mächte, besonders in mercantilischer Hinsicht.

Es ist meine Pflicht als Fürsprecherin des edlen brasilianischen Volkes aufzutreten.

Jetzt bleibt mir nichts mehr zu wünschen übrig, als dass Sie, wertester Vater, als unser wahrer Freund und Alliierter auftreten. Von mir können Sie, theuerster Vater überzeugt sein, dass ich stets von Herzen Brasilianerin bleiben werde, denn so gebieten es mir die Pflichten als Gemahlin, Mutter und die Dankbarkeit für ein biederes Volk, welches bereit war, als wir uns von allen Mächten verlassen sahen, unsere Stütze zu sein, nicht die größten Opfer und Gefahren scheuend.

Ich küsse Ihnen vielmahl die Hände und verbleibe stets mit der innigsten, kindlichen Liebe und tiefster Ehrfurcht, theuerster Papa, Ihre gehorsamste Tochter Leopoldine.

Bittbrief Leopoldinas an Kaiser Franz I. vom 6. April 1823

Erzherzogin Leopoldine, Tochter des Kaisers Franz II./I. und spätere Kaiserin von Brasilien, Ölgemälde, um 1815

Die internationale Anerkennung der Unabhängigkeit von Brasilien war von größter Bedeutung. Leopoldina wusste, zuerst musste das Mutterland Portugal die Unabhängigkeit Brasiliens anerkennen, dann würden die anderen Mächte Europas folgen. Und, ganz Tochter des Hauses Habsburg, wusste sie auch, dass für die politische Richtung der übrigen europäischen Mächte die Haltung ihres Vaters, Kaiser Franz I., ausschlaggebend war.

Sie schrieb Briefe, übergab den Diplomaten Depeschen zur persönlichen Weiterleitung – mehr als zwei Jahre ohne Ergebnis. Also richtete Leopoldina am 6. April 1823 einen ausführlichen Bittbrief an ihren Vater, Kaiser Franz I., der darin gipfelte, dass sie sich als "Brasilianerin von Herzen" bezeichnete, um ihren unumkehrbaren Einsatz für diese Sache zu unterstreichen. Auch auf diesen Brief kaum aus Wien zunächst keine Reaktion. Leopoldina schrieb auch ihrem Schwiegervater, Dom João VI. nach Lissabon. "...seien Sie doch der Friedensengel und ratifizieren den Vertrag und zeigen Sie sich damit der ganzen Welt als der großzügigste Vater..."

Bewegung in diese diplomatisch schwierige Angelegenheit kam, als England Geld von Portugal eintreiben wollte und Portugal deshalb die Allianz mit Österreich suchte. Und endlich, am Namenstag von Leopoldina, am 15. November 1825, drei Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung und ein Jahr vor dem Tod von Leopoldina, wurde der Vertrag zur Anerkennung der Unabhängigkeit Brasiliens vom Mutterland Portugal unterzeichnet. Leopoldina hatte damit in einer wahren diplomatischen Meisterleistung von Zuwarten und Drängen im richtigen Maß, von Gespräch und Korrespondenz zum richtigen Zeitpunkt mit den richtigen Personen, das ersehnte Ergebnis erreicht: das selbständige Kaiserreich Brasilien war international anerkannt.

Gloria Kaiser