Die "Ziegelbehm" vom Wienerberg und kaiserliche Bauprojekte

Albert Hilscher: Baubeginn der Oper, 1863, Fotografie

Als Kaiser Franz Joseph den Bau der Ringstraße anordnete, begann in Wien ein reger Bauboom. Architekten wurden mit den Entwürfen von Gebäuden beauftragt, für die Umsetzung des Bauprojektes allerdings erforderte es den Einsatz unzähliger ArbeiterInnen. Allein für die Errichtung des Arsenals wurden über eine Million Ziegel benötigt, die eigens in den Wienerberger Ziegelwerken hergestellt wurden.

Albert Hilscher: Baubeginn der Oper, 1863, Fotografie

Als "Ziegelbehm" wurden jene ArbeiterInnen aus Böhmen und Mähren bezeichnet, die als Ziegelschläger in den Wienerberger Ziegelwerken tätig waren. Obwohl sich diese ArbeiterInnen laut eigenen Aussagen zu den glücklicheren zählten, herrschten unvorstellbare Arbeits- und Lebensumstände.

Viktor Adler machte die Öffentlichkeit erstmals 1888 in der sozialdemokratischen Zeitschrift "Gleichheit" auf die miserable Lage der ZiegelschlägerInnen aufmerksam. Etwa 3.000 Personen waren in Massenquartieren untergebracht, welche die Firma gegen eine Miete zur Verfügung stellte. Die Wiener Industrie siedelte sich bevorzugt in den Vororten an, wo die Beschäftigten wegen der billigeren Mieten in der Nähe der Fabriken wohnen konnten. In Baracken – in Räumen mit 40 bis 70 Personen – schliefen Männer, Frauen und Kinder. Anstelle eines Geldlohnes erhielten die ArbeiterInnen Blechmarken, die sie ausschließlich in der Betriebskantine einlösen konnten. Der Betriebsleiter nützte die Monopolstellung des Werkes und sparte bei der Verpflegung seiner DienstnehmerInnen - hohe Preise und schlechte Qualität des Essens waren die Folge. Die langen Arbeitstage (15 Stunden pro Tag, siebenmal die Woche) machten einen Zuverdienst unmöglich. Die wohlhabende Bevölkerung Wiens zeigte wenig Mitgefühl für die Misere der werktätigen Massen. Viktor Adler und zwei Ziegelarbeiter erhielten sogar Geldstrafen wegen unbefugter Verteilung der Zeitschrift "Gleichheit".

1895 erkämpften die ArbeiterInnen in einem blutigen Streik nicht nur höheren Lohn, sondern auch eine separierte Unterbringung von kinderreichen Familien, die bis dahin ebenfalls in den Massenquartieren gewohnt hatten. Die Sozialdemokratische Partei erklärte sich mit den ZiegelarbeiterInnen solidarisch und vertrat ihre Anliegen im Parlament. Aufgrund der Politisierung der ArbeiterInnen und dem öffentlichen Druck der Partei mussten die Ziegelwerkbesitzer einen Elf-Stunden-Arbeitstages sowie Sonntagsruhe garantieren.

Anita Winkler