Die Menschenmassen messen – Von "Seelenbeschreibungen" und Hausnummern

Max von Grimm: Grundriss der k.k. Haupt- und Residenzstadt Wien mit ihren Vorstädten nach den neuen Hausnummern, 1797

Die "Seelen" der Monarchie wollten Maria Theresia und Joseph II. "beschreiben" lassen. Dahinter standen freilich wirtschaftliche und militärische Motive.

Max von Grimm: Grundriss der k.k. Haupt- und Residenzstadt Wien mit ihren Vorstädten nach den neuen Hausnummern, 1797

Der heutige österreichische Staat weiß ziemlich viel über seine BewohnerInnen, angefangen beim Wohnsitz, über die Steuerleistung bis zum Religionsbekenntnis. Im Gegensatz dazu wussten die MonarchInnen bis ins 18. Jahrhundert kaum darüber Bescheid, wie viele Menschen tatsächlich in ihren Reichen lebten, arbeiteten, Steuern zahlten oder auf die Zuwendungen der Armenfürsorge angewiesen waren. Es gab zwar immer wieder Erhebungen, diese zählten jedoch 'nur' die Häuser oder die Wehrpflichtigen oder die verschiedenen Gewerbesparten und waren lokal begrenzt. Dass systematische Volkszählungen gerade im 18. Jahrhundert eingeführt wurden, hängt mit den Ideen des Merkantilismus bzw. Kameralismus zusammen: Bevölkerungsreich sollte die Habsburgermonarchie sein und dadurch viele Steuern eingenommen werden.

Die erste "Seelenbeschreibung" wurde von Maria Theresia 1753 angeordnet. Diese Bezeichnung deutet darauf hin, dass zunächst Geistliche zählten, später parallel dazu auch staatliche Obrigkeiten. Weil es sich nicht primär um eine militärische Erhebung handelte, wurden auch Frauen und Kinder gezählt. Wie uneinheitlich erhoben wurde, zeigt, dass die Bevölkerung laut Beschreibungen innerhalb eines Jahrzehnts um eine halbe Million Menschen schwankte. Joseph II. war sowohl an Informationen über Wehrpflichtige als auch über die gesamte Bevölkerung interessiert. Gezählt wurden trotzdem nicht alle Personen: Die jüdische Bevölkerung wurde noch nicht aufgenommen, weil sie vom Militärdienst ausgeschlossen waren; in den italienischen und niederländischen Gebieten wurde überhaupt nicht erhoben. Ab den 1780er Jahren kamen Tabellen über die landwirtschaftliche Produktion, die Manufakturen, die Fabriken und ihr Personal hinzu.

Die Einführung der Häusernummerierung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts hatte einerseits steuerliche und militärische Gründe. Andererseits erfüllte sie wie die Bevölkerungszählungen einen machtpolitischen Zweck: Das Anbringen von klar ersichtlichen Hausnummern wies jedes Haus eindeutig einem bestimmten Herrschaftsgebiet zu.

Christina Linsboth