Karl VI. als Herrscher in Mitteleuropa

Johann Gottfried Auerbach (?): Kaiser Karl VI. im Ornat des Goldenen Vlieses, Ölgemälde, um 1730

Totenaufbahrung Kaiser Karls VI., Aquarell auf Pergament

Während der 29-jährigen Regentschaft Karls VI. erreichte die Habsburgermonarchie ihre größte territoriale Ausdehnung. Bei seinem Tod hinterließ Karl jedoch ein Großreich in der Krise.

Johann Gottfried Auerbach (?): Kaiser Karl VI. im Ornat des Goldenen Vlieses, Ölgemälde, um 1730

Totenaufbahrung Kaiser Karls VI., Aquarell auf Pergament

Als Herrscher des mitteleuropäischen Reiches war Karl mit dem seit Generationen andauernden Konflikt mit dem Osmanischen Reich konfrontiert. Seit der Niederlage der Türken vor den Toren Wiens 1683 hatte sich das Blatt jedoch zugunsten der Habsburger gewendet. 1716 erklärte Karl aus einer Position der Stärke in Allianz mit Venedig dem Osmanischen Reich wiederum den Krieg. Unter der Leitung von Prinz Eugen ging die habsburgische Armee siegreich aus dem Konflikt hervor. Internationales Aufsehen errang die Eroberung Belgrads, die wichtigste Festung der Osmanen an der Donau. Der darauf folgende Frieden von Passarowitz 1718 sicherte der Monarchie neben großen Gebietsgewinnen (das Temesvarer Banat, Nordserbien samt Belgrad, die Kleine Walachei) auch Handelsprivilegien am Balkan und am Schwarzen Meer.

Eine Erfolgssträhne hatte Karl auch im Westen, als ein neuerlicher Krieg mit den spanischen Bourbonen in den Jahren 1718–1720 zum Tausch Sardiniens mit Sizilien führte. Damals hatte die österreichische Monarchie die größte territoriale Ausdehnung ihrer Geschichte erreicht. Die 1720er Jahre gelten als die Blütezeit der Habsburgermonarchie als barocke Großmacht.

Während Karls Regentschaft wurden auch Versuche begonnen, das riesige Reich wirtschaftlich zu homogenisieren. Es wurde massiv in die Verkehrsinfrastruktur investiert. Eine Maßnahme war der Bau von Handelsstraßen quer durch das Reich. Am bekanntesten sind die Prager Straße und die Brünner Straße, die von Wien in die böhmischen Länder führen, und die Triester Straße, die Wien mit der nun als Freihafen prosperierenden Hafenstadt an der Oberen Adria verband. Der damit verbundene Bau der Passstraße über die Ostalpen war eine technische Meisterleistung der Zeit; ein Denkmal Kaiser Karls am Semmering erinnert bis heute daran.

Es folgten auch durchaus erfolgreiche Versuche, durch die Gründung der Orientalischen Handelskompagnie mit Sitz in Ostende Österreich im Kolonialhandel zu positionieren. Diese mussten jedoch auf Druck der Seemächte eingestellt werden, um deren Zustimmung zur Pragmatischen Sanktion zu erkaufen.

Das letzte Jahrzehnt von Karls Herrschaft zeigte Anzeichen der Ermüdung und Stagnation. Außenpolitische und militärische Misserfolge reihten sich aneinander: 1735 gingen die süditalienischen Territorien Neapel und Sizilien verloren – immerhin konnten als Ersatz dafür kleinere Gebiete in Norditalien gewonnen und Karls Schwiegersohn Franz Stephan die Herrschaft in der Toskana gesichert werden. Als Ergebnis des Debakels des Türkenkriegs von 1737–1739 musste der Großteil der 1718 gewonnenen Gebiete am Nordbalkan inklusive Belgrad wieder an das Osmanische Reich abgetreten werden. Nur das Banat konnte dauerhaft in die Monarchie eingegliedert werden.

Karl starb am 20. Januar 1740 in Wien. Allgemein werden als Todesursache die Folgen einer Erkältung, die er sich bei einem Jagdausflug holte, angegeben. Andere Quellen berichten jedoch von einer Pilzvergiftung. Er wurde in der Wiener Kapuzinergruft begraben. Mit ihm sank der letzte männliche Vertreter der „Althabsburger“ ins Grab – die Dynastie war in männlicher Linie ausgestorben.

In der Geschichtsschreibung dominiert das Bild Karls als letzter Monarch des „österreichischen Heldenzeitalters“, unter dessen Regentschaft das Reich der Habsburger zwar eine territoriale Expansion und kulturelle Blüte erlebte, aber bereits deutliche Anzeichen der Erstarrung trug. Karl hätte die von seinem älteren und oft als begabteren Herrscher bezeichneten Bruder Joseph I. hinterlassenen Chancen für einen fundierten Aufstieg Österreichs zu einer europäischen Führungsmacht nicht genutzt. Diese Aufgabe sei demnach erst durch seine Tochter Maria Theresia vollendet worden.

Martin Mutschlechner