Franz Stephan – Im Schatten Maria Theresias

Martin van Meytens: Franz I. Stephan und Maria Theresia im Kreise der Familie, um 1754/55, Öl auf Leinwand

In der Habsburgermonarchie war Franz Stephan offiziell Mitregent Maria Theresias. In der Realität war er jedoch ein Prinzgemahl ohne großen Handlungsspielraum.

Er [Franz Stephan] veranstaltet heimlich galante Soupers mit ihnen [=seinen Eroberungen], aber die Eifersucht der Kaiserin nötigte ihn, sich darin zu beschränken. Sobald sie bemerkt, daß er irgendeiner Frau den Hof macht, schmollt sie und macht ihm das Leben so unangenehm wie möglich.

Der preußische Gesandte Graf Podewils in einem Bericht nach Berlin.

Martin van Meytens: Franz I. Stephan und Maria Theresia im Kreise der Familie, um 1754/55, Öl auf Leinwand

Maria Theresia übernahm die Regentschaft in ihren Erblanden sehr selbstbewusst. Franz Stephan, dem in den ursprünglichen Überlegungen seines Schwiegervaters mehr Mitverantwortung eingeräumt worden war, wurde von seiner energischen Gemahlin in der politischen Entscheidungsfindung ins Abseits gedrängt. Dies trübte zuweilen die Stimmung zwischen den Eheleuten, da sie in vielen Dingen unterschiedlicher Anschauung waren.

Sein Rückzug aus dem politischen Tagesgeschäft wurde Franz Stephan als Trägheit und Desinteresse ausgelegt. So meinte der preußische Gesandte Graf Podewils in einer seiner Relationen über den Gemahl Maria Theresias: „Er weiß sich mit keiner Arbeit gründlich zu befassen (...) hasst die Arbeit (...) ist wenig ehrgeizig und kümmert sich so wenig wie möglich um die Regierungsgeschäfte.“

Franz Stephan wird oft als Phlegmatiker geschildert, als charmanter, aber oberflächlicher Genussmensch, der unter der Autorität seiner Gattin stand. Wohlwollendere Biographen betonen wiederum seine Leutseligkeit. Der Kaiser galt als unkompliziert und verfügte über großen Realitätssinn und Menschenkenntnis. Dank seines ausgleichenden Charakters bildete Franz Stephan in der Familie den ausgleichenden Part. Einige der Kinder hatten zu ihm ein viel näheres Verhältnis als zur Mutter, wie z. B. die älteste Tochter Maria Anna, die ihre naturwissenschaftlichen Interessen mit ihm teilte.

Die Ehe mit Maria Theresia, der 16 Kinder entsprangen, wird einhellig als glücklich beschrieben. Eine derart harmonische Beziehung war nicht die Regel an Europas Höfen, wo dynastische Ehen nicht aufgrund von Sympathie, sondern nach politischen Gesichtspunkten geschlossen wurden. Im Falle von Maria Theresia und Franz Stephan entwickelte sich die ebenfalls auf dynastischen Gründen beruhende Heirat zu einer offensichtlich funktionierenden Partnerschaft. Zum Gelingen der Ehe hatte sicherlich die Tatsache beigetragen, dass die beiden einander seit ihrer Kindheit kannten und sich aneinander gewöhnen konnten. Denn bei vielen dynastischen Eheschließungen fand die erste Begegnung zwischen den Eheleuten erst bei der Vermählung statt.

Die oft in blühenden Farben geschilderte eheliche Idylle wurde von der patriotisch-kaisertreuen Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts zum Idealbild stilisiert. Dies passt zum generellen Charakter des Wiener Hofes, der, tief katholisch geprägt, als sittenstreng, gar bieder galt. Nach außen wurde die katholische Ehe- und Sexualmoral betont. Mätressen waren zwar nicht unbekannt, aber außereheliche Beziehungen wurden bei weitem nicht so öffentlich ausgelebt wie auf anderen Höfen, wie z. B. Frankreich, wo die Gefährtinnen der Könige großen politischen Einfluss hatten. Dies galt aber wohlweislich nur für Männer – bei weiblichen Mitgliedern einer Dynastie wurden hier wie dort viel rigidere Maßstäbe angelegt.

Am Wiener Hof war ein gemeinsames Schlafzimmer für kaiserliche Eheleute üblich, was eine Ausnahme im höfischen Milieu Europas darstellte. Franz Stephan, der französische Sitten gewohnt war, musste sich daran sicherlich erst gewöhnen. Denn der Gemahl Maria Theresias wird in vielen Berichten als außerehelichen Vergnügungen nicht abgeneigt beschrieben. Es kursieren etliche Geschichten über Affären, die zuweilen von langer Dauer waren und denen auch uneheliche Kinder entsprossen.
Franz Stephan musste dabei jedoch sehr diskret vorgehen. Der preußische Gesandte meinte, der Kaiser stehe unter ständiger Beobachtung seiner Frau, sodass er wenige Möglichkeiten habe, seine Neigungen auszuleben.

Eine der wenigen namentlich bekannten Mätressen Franz Stephans war „la belle princesse“ Marie Wilhelmine Fürstin Auersperg. Die Dame wird als außerordentliche Schönheit, noch dazu gebildet und von einnehmender Herzlichkeit beschrieben. 1738 geboren, war sie somit 30 Jahre jünger als Franz Stephan. Es war dies die letzte Eroberung Franz Stephans, denn die Beziehung wurde durch seinen plötzlichen Tod 1765 beendet.

Martin Mutschlechner