Franz Stephan als Kaiser des Heiligen Römischen Reiches

Allegorie auf Franz Stephan von Lothringen als Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, Stich, 18. Jahrhundert

Nach dem Tod Karls VI. ging der prestigeträchtige Titel eines Kaisers des Heiligen Römischen Reiches für die Habsburger verloren. Es bedurfte einiger Anstrengungen, bevor mit Franz Stephan wieder ein habsburgischer Kandidat an der Spitze des Reiches stand, auch wenn dieser kein Habsburger im genealogischen Sinn war.

Allegorie auf Franz Stephan von Lothringen als Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, Stich, 18. Jahrhundert

1741 wurde Kurfürst Karl Albrecht von Bayern zum Herrscher des Heiligen Römischen Reiches gewählt und 1742 als Karl VII. zum Kaiser gekrönt. Es war dies ein schwerer Schlag für das Selbstverständnis des Wiener Hofes, für den die Kaiserwürde schon beinahe als Erbpacht des österreichischen Erzhauses galt.

Die Regentschaft des Wittelsbachers währte nur kurz. Nachdem die habsburgischen Truppen im Erbfolgekrieg Bayern besetzt und Karl VII. aus seinem Stammland vertrieben hatten, starb der glücklose Kaiser bereits 1745. Nun hatte sich die Kräfteverteilung im Reich wieder zugunsten der Habsburger verändert. Die Konkurrenten Bayern und Preußen gaben nach langen diplomatischen Verhandlungen und Zugeständnissen ihre Einwilligung für die Wahl des Lothringers.

Franz Stephan war der „Vernunftkandidat“ für die Nachfolge um des Friedens willen. Das kurze Intermezzo des Wittelsbachers Karl VII. hatte gezeigt, dass ein nicht-habsburgischer Kaiser im Reich nicht genügend Durchsetzungsvermögen hatte. Um das komplizierte Konstrukt des Alten Reiches halbwegs funktionstüchtig zu halten, war es sinnvoll, den Kandidaten Habsburgs zu wählen – auch wenn dieser eigentlich kein Habsburger war.

Franz Stephan war daher eine Art Übergangslösung bis wiederum ein habsburgischer Prinz in Gestalt seines Sohnes Joseph (geb. 1741) die Führung des Reiches übernehmen sollte. An sich herrschte der Grundsatz des Wahlkaisertums, und rechtlich hatte keine Dynastie einen erblichen Anspruch darauf. Den Habsburgern als mächtigsten Fürsten des Reiches gelang es jedoch seit der Mitte des 15. Jahrhunderts, die Kaiserwürde bis 1740 ohne Unterbrechungen für sich zu gewinnen. Die habsburgische Erbtochter Maria Theresia konnte als Frau diesen Titel jedoch nicht erwerben. Als ihr Gatte zum Oberhaupt des Reiches wurde, ließ sich Maria Theresia demonstrativ nicht krönen. Sie betonte damit ihre eigenständige Stellung als Regentin der Habsburgermonarchie. Dennoch hat sich die Bezeichnung „Kaiserin Maria Theresia“ eingebürgert. Bereits zu Lebzeiten wurde sie als solche bezeichnet.

Die Wahl und Krönung Franz Stephans fand 1745 in Frankfurt statt: Den Zeitgenossen war er als Kaiser Franz I. bekannt. Auch er selbst nannte sich nur Franz bzw. François. Der Beiname Stephan wurde erst nach seinem Tod zur besseren Unterscheidung von seinem gleichnamigen Enkel Franz (dem „guten Kaiser Franz“) gebräuchlich, der zunächst als Franz II. Kaiser des Heiligen Römischen Reiches und ab 1804 als Franz I. Kaiser von Österreich wurde.

Die Regierungszeit Franz Stephans war geprägt von einem massiven Bedeutungsverlust des Heiligen Römischen Reiches im Machtgefüge Europas. Die habsburgische Monarchie entwickelte sich im Laufe des 18. Jahrhunderts aus dem Alten Reich zunehmend heraus. Der Schwerpunkt habsburgischer Politik lag nicht mehr auf dem Reichsgeschehen, sondern auf der Bildung des österreichischen Gesamtstaates. Hauptgrund dafür war die Konkurrenz mit Brandenburg-Preußen, das sich zu einer zweiten Großmacht im deutschsprachigen Raum entwickelt hatte. Die Würde eines Kaisers des Heiligen Römischen Reiches war fast nur mehr ein Ehrentitel ohne reale Macht. Dies wurde auch von Franz Stephan so gesehen. Aus Gründen der Tradition bemühte er sich, die Nachfolge seines Sohnes auf dem Kaiserthron durchzusetzen, damit der Titel in der Dynastie gehalten werden konnte. Mit der Frankfurter Krönung Josephs II. 1764 hatte Franz Stephan seine Mission erfüllt. 

Martin Mutschlechner