Elisabeth Christine und der verzweifelte Kampf um den Fortbestand der Dynastie

Martin van Meytens: Portrait der Familie Kaiser Karls VI., Pastell, 1730

Nachdem aus der Ehe von Karls älterem Bruder Joseph keine männlichen Nachfolger erwartet werden konnten, lag die Aufgabe der Fortführung der Dynastie bei Karl. Es begann eine sorgfältige Suche nach einer passenden Gemahlin.

Martin van Meytens: Portrait der Familie Kaiser Karls VI., Pastell, 1730

Die Kandidatinnen wurden nicht nur nach dem Stammbaum, sondern auch nach dem gesundheitlichen Zustand ausgewählt. Die Disposition für eine zukünftige Mutterschaft war ein wichtiges Kriterium, das von einem Ärzteteam auch tatsächlich untersucht wurde.

Als geeignet gingen aus der Auswahl zwei Damen hervor: Maria Viktoria von Savoyen-Carignan (eine Nichte von Prinz Eugen von Savoyen) und Elisabeth Christine von Braunschweig-Lüneburg-Wolfenbüttel (1691–1751). Schließlich machte aus politischen und genealogischen Gründen die deutsche Prinzessin aus dem alten Geschlecht der Welfen das Rennen.  

Elisabeth Christines Vater war zwar nur Regent eines lediglich regional bedeutenden Kleinstaates in Niedersachsen, entstammte aber einem der ältesten deutschen Fürstenhäuser. Die ambitionierte Familie Elisabeths engagierte sich intensiv für die Wahl der jungen Dame, denn man sah dies in der Konkurrenz der deutschen Kleinstaaten als wichtigen Trumpf. Die treibende Kraft war der ehrgeizige Großvater der Braut, Anton Ulrich Herzog von Braunschweig-Lüneburg (1633–1714), ein geradezu archetypischer Grandseigneur der Barockzeit, der gleichermaßen von Kunstsinn (er versuchte sich selbst als Lyriker) wie von machtpolitischen Ambitionen beseelt war.

Ein Hindernis war jedoch das protestantische Bekenntnis der Kandidatin. Nach energischem Zureden der Verwandtschaft und spitzfindigen theologischen Begründungen konnte die ursprünglich überzeugte und tief gläubige Lutheranerin zum Übertritt zum katholischen Glauben bewegt werden. Durch die 1707 erfolgte Konversion war das letzte Hindernis beseitigt, und am 23. April 1708 wurde die Hochzeit gefeiert.

Die 16-jährige Braut Elisabeth Christine galt als eine der schönsten und zugleich gebildetsten Aristokratinnen Europas. Besonderes Augenmerk verdienten laut Zeitgenossen ihr heller Teint, ihre blauen Augen und die blonde Haarpracht, was ihr in Wien die Bezeichnung „Weiße Liesl“ einbrachte. Besonderen Eindruck machten auf die  Bewunderer ihre angeblich perfekt geformten Hände und Arme.

Elisabeth Christine folgte ihrem Gatten nach Spanien, wo Karl mit wechselndem Erfolg bei der Behauptung seines Anspruches auf den spanischen Thron gegen seinen Gegenspieler Phillip von Anjou agierte. Nach dem plötzlichen Tod  seines Bruders Joseph (1711) wurde Karl auch Erbe der österreichischen Monarchie und Kandidat für den Kaiserthron. Während Karl nach Mitteleuropa zurückkehrte, wurde Elisabeth als Statthalterin und Generalkapitänin zu seiner Vertreterin in Barcelona ernannt. Dort stand sie auf verlorenem Posten, obwohl sie in der schwierigen Position ein unerwartet großes politisches Geschick zeigte.

Zurück in Wien wurde Elisabeth Christine – nunmehr als Gattin Karls Kaiserin – von jeglichem politischen Einfluss ausgeschlossen. Sie versuchte vergeblich, in Wien ihre Verwandten zu protegieren und verstrickte sich in einen Konkurrenzkampf mit den beiden am Hof verbliebenen Kaiserin-Witwen, ihrer Schwiegermutter Eleonora Magdalena und ihrer Schwägerin Amalie Wilhelmina.

Die Stellung Elisabeth Christines am Wiener Hof war zusätzlich erschwert durch die lange Kinderlosigkeit. Erst 1716, acht Jahre nach der Hochzeit, kam das erste Kind zur Welt, ein heiß ersehnter Knabe, der auf den Namen Leopold getauft wurde. Als der Säugling jedoch mit nur wenigen Monaten starb, stiftete Karl VI. dem Marienheiligtum in Mariazell eine lebensgroße Figur seines verstorbenen Sohnes aus vergoldetem Silber mit der Bitte um weiteren männlichen Nachwuchs.

Doch es folgten „nur“ mehr drei Töchter: Maria Theresia (1717–1780), Maria Anna (1718–1740) und die früh verstorbene Maria Amalia (1724–1730).

Es wurden verschiedenste Maßnahmen gesetzt, um bei höheren Mächten die Geburt eines männlichen Nachkommen zu erwirken. Darunter fällt auch die verspätete Krönung Karls VI. in Prag, denn nach einem in Böhmen weit verbreiteten Volksglauben sollte nur einem rechtmäßig gekrönten und gesalbten König ein Sohn geboren werden. Das Kaiserpaar unternahm die Reise nach Prag, unterzog sich den Zeremonien, und Elisabeth wurde auch tatsächlich während des Aufenthaltes in Böhmen schwanger. Die Anekdote, wonach die versammelten Stände beim Krönungsmahl auf den „Hansl im Keller“ – also auf das ungeborene, idealerweise männliche Kind im Leib der Mutter – tranken, zeigt, dass die Hoffnung auf einen Kronprinzen nicht aufgegeben wurde. Die Schwangerschaft endete allerdings mit der Geburt eines weiteren Mädchens, der dritten und letzten Tochter Maria Amalie.

Die Gattin des Kaisers wurde unterschiedlichsten, teilweise bizarren, zwischen Medizin und Magie oszillierenden Behandlungen unterworfen: u. a. sollte sie täglich eine nicht unbedeutende Menge Rotwein trinken, was zwar zu keiner Schwangerschaft führte, jedoch zu einer Alkoholkrankheit.

Ihr „Versagen“ bei der Produktion eines männlichen Thronfolgers machte Elisabeth Christine persönlich schwer zu schaffen. Die Folge davon war, dass sich die Kaiserin zu einer depressiven, dickleibigen Matrone entwickelte, die unter Rheumatismus und Schweratmigkeit litt.

Nach dem Tod des Gatten 1740 wurde Elisabeth Christine auch von ihrer Tochter Maria Theresia höflich, aber bestimmt von den Regierungsgeschäften ausgeschlossen. Die Kaiserin-Witwe starb am 21. Dezember 1750 und ist in der Wiener Kapuzinergruft begraben.

Martin Mutschlechner