Reichstadt – ein gut gepolstertes Ruhekissen für Exherrscher

Moritz Daffinger: Le Duc de Reichstadt, Radierung, 19. Jahrhundert

Waldemar Rau: Reichstadt (Abbildung aus der Serie „Böhmens Landsitze und Schlösser“), 19. Jahrhundert

Dank des Schicksals des einzigen Sohnes Napoleon Bonapartes, Napoleon II., der als Herzog von Reichstadt jung verstarb, scheint eine böhmische Kleinstadt in den Geschichtsbüchern auf. Reichstadt ist ein geradezu klassisches Beispiel dafür, wie Länder, Güter, Orte und die darauf lebenden Menschen zum Spielball dynastischer Interessen wurden.

Moritz Daffinger: Le Duc de Reichstadt, Radierung, 19. Jahrhundert

Waldemar Rau: Reichstadt (Abbildung aus der Serie „Böhmens Landsitze und Schlösser“), 19. Jahrhundert

Als Mittelpunkt eines ausgedehnten Besitzkomplexes gelangte das im Norden der heutigen Tschechischen Republik gelegene Reichstadt (tschechisch: Zákupy) 1632, als es nach der Niederschlagung des böhmischen Ständeaufstandes zu einer groß angelegten Umverteilung kam, an einen Feldherrn aus dem Hause Sachsen-Lauenburg, der sein Glück auf den Schlachtfeldern des Dreißigjährigen Krieges gemacht hatte. Hundert Jahre später, nachdem sich die Reichstädter dank komplizierter familiärer Verbindungen ihrer adeligen Herrschaft kurz der Regentschaft des letzten Herrscherpaares der Toskana aus dem Hause Medici erfreuen durften, kam diese böhmische Domäne an die bayrischen Wittelsbacher.

Am Beginn des 19. Jahrhunderts kam die beschauliche Kleinstadt im Norden Böhmens dann in den zweifelhaften Genuss einer Fahrt auf der Hochschaubahn der Geschichte. Zunächst gelangte Reichstadt im Tausch an Erzherzog Ferdinand III. von Toskana, den zweiten Sohn Leopolds II. und Bruder Franz II./I. Dieser Habsburger wurde selbst zu einer Figur im Spiel der Mächte: Ursprünglich Herrscher in der Toskana, wurde er 1799 von den französischen Truppen vertrieben, und, nach kurzem Zwischenspiel als Kurfürst von Salzburg und Großherzog von Würzburg, durch den Wiener Kongress 1815 wiederum als Großherzog von Toskana installiert.

Dafür verzichtete er auf Reichstadt, das, zum Herzogtum erhoben, sich plötzlich als Ersatz und schwacher Trost für den verlorenen Titel eines Königs von Rom im Besitz des kleinen Sohnes Napoleons wiederfand. Nach dessen frühem Tod 1832 gelangte die böhmische Kleinstadt an seine Mutter Erzherzogin Marie Louise, die mondäne ehemalige Kaiserin der Franzosen. Als sie 1847 starb, ging Reichstadt an ihren Bruder Ferdinand I., der hier nach der Abdankung seinen Lebensabend als Exkaiser verbrachte. Erst nach dem Tod  Ferdinands 1875 fiel der Reichstädter Gutskomplex als Teil seines enormem Vermögens schließlich an Franz Joseph, der darüber hocherfreut bemerkt haben soll: "Auf einmal bin ich ein reicher Mann". Großzügig verdreifachte er die Apanage seiner Gemahlin Elisabeth und überschrieb ihr einen Teil des Vermögens. Sie war nun nicht mehr ausschließlich auf die Zuwendungen des Hofes angewiesen und durch die Sparsamkeit Franz Josephs in ihrem extravaganten Lebensstil auf der Flucht vor dem Wiener Hof beschränkt. Das verschlafene Reichstadt stand jedoch nicht auf der Liste ihrer mondänen Destinationen.

Martin Mutschlechner