Nur für Mitglieder – die Hoffähigkeit

Theo Zasche: Der Kaiser verlässt den Saal, Zeichnung, 1898

Die Gleichheit der Menschen ist heute ein fundamentales Menschenrecht. In der feudalen Gesellschaftsordnung war die Ungleichheit jedoch systemimmanent. Die Spitzen der aristokratischen Eliten am Hof legten zwischen sich und den Rest der Menschheit eine unüberwindliche Schranke: die Hoffähigkeit, ein Geburtsrecht, für das die hochadelige Herkunft Voraussetzung war.

Theo Zasche: Der Kaiser verlässt den Saal, Zeichnung, 1898

Der Nachweis der hohen Geburt erfolgte durch die "Ahnenprobe", die bei Hofe durch spezielle Ahnenprobenexaminatoren im Oberstkämmereramt durchgeführt wurde: Um als Mitglied der "Ersten Gesellschaft", dem exklusivsten Zirkels des Adels bei Hofe, zu gelten, musste man auf mindestens 16 hochadelige Vorfahren – acht väterlicherseits und acht mütterlicherseits – in ununterbrochener Reihenfolge zurückblicken können. Erst in der Generation der Ururgroßeltern wurde also ein 'Fehltritt' mit einem Partner oder einer Partnerin aus dem minderen Adel oder – horrible dictu – gar bürgerlicher Herkunft toleriert. Dies erklärt die strengen Regeln bei der Partnerwahl in adeligen Kreisen, denn eine morganatische (d. h. nicht standesgemäße) Ehe bedeutete den Verlust der Privilegien für die Nachkommen: Wer aus der Reihe tanzte, verbaute die Chancen für die folgenden Generationen.

Am Wiener Hof war die Hoffähigkeit bis zum Ende der Monarchie 1918 das wichtigste Instrument zur Wahrung der Exklusivität. Auch unter Franz Joseph, dessen persönliches Weltbild besonders stark in den Traditionen seines Hauses verwurzelt war, blieb Personen bürgerlicher Herkunft die Zugehörigkeit zur Hofgesellschaft verwehrt. Ein Archaismus, denn die Aristokratie hatte nach 1848 ihre historischen Vorrechte außerhalb des Hofes größtenteils eingebüßt. Der Hochadel, der nun in der Konkurrenz mit der bürgerlichen Leistungsgesellschaft bestehen musste, flüchtete in eine Rückschau auf die Vergangenheit und war in der Pflege der überkommenen Traditionen gefangen.

Wenige Aristokraten kritisierten diesen Zustand: Kronprinz Rudolf erkannte die Gefahren der Abschottung, suchte bewusst Kontakt zu bürgerlichen Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Industrie. Rudolf wurde dadurch bezeichnenderweise zum Außenseiter nicht nur in der Familie Habsburg, sondern auch in der aristokratischen Gesellschaft Wiens.

Der sich in die Nische des Hofes drängende Adel umkreiste das Kaiserhaus wie die Planeten die Sonne. Mit dem Untergang der Habsburgermonarchie 1918 ging das Gravitationszentrum und damit der Bezugspunkt verloren. Die Abschaffung der Adelstitel und der Verlust der Standesprivilegien sowie nicht zuletzt massive wirtschaftliche Einbußen im Gefolge der politischen Entwicklungen in den einzelnen Nachfolgestaaten der Monarchie haben die Welt des altösterreichischen Adels endgültig untergehen lassen.

Martin Mutschlechner