Krise in höchsten Kreisen – Wirtschaftsboom und Börsenkrach

"Schluss der Ausstellung", Karikatur in der Zeitschrift "Kikeriki", 30. Oktober 1873

'Ringstraßenbarone bankrott – Krise erreicht den Hof', 'General stürzt sich in den Tod', 'Das Ende des Aufschwungs?' – so hätten die Zeitungsberichte angesichts des Börsenkrachs 1873 lauten können.

"Schluss der Ausstellung", Karikatur in der Zeitschrift "Kikeriki", 30. Oktober 1873

Der Börsenkrach im Mai 1873 bereitete dem wirtschaftlichen Aufschwung der Monarchie, dem Reichtum und manchmal dem Leben vieler der sogenannten Ringstraßenbarone der 'zweiten Gesellschaft' ein jähes Ende. Unter denjenigen, die den Börsenkrach finanziell nicht überstanden, waren nicht nur Bankiers, sondern auch Mitglieder der Hofgesellschaft und Vertraute des Kaisers. Die ganze Sache reichte sogar bis in die kaiserliche Familie, denn Erzherzog Ludwig Viktor, der Bruder Franz Joseph, hatte sich ebenfalls verspekuliert.

Der hochdekorierte Armee-Kommandant Baron Gablenz wiederum hatte Geld und Besitz verspekuliert. Er wandte sich noch per Telegramm hilfesuchend an den Kaiser und bat um finanzielle Unterstützung. Dieser erhielt das Gesuch jedoch nicht, weil der Generaladjutant des Kaisers, Graf Bellegarde, den Hof vor der Verwicklung in einen Skandal schützen wollte. Der Kommandant glaubte, beim Kaiser in Ungnade gefallen zu sein und stürzte sich in den Tod.

Bis zum Börsenkrach boomte die Wirtschaft der Monarchie und Wiens. Eine Vielzahl von Unternehmen der Großindustrie und des Handels, von Bankhäusern und Aktiengesellschaften wurden gegründet.  Allein in der 'ersten' Gründerzeit seit dem Ausgleich mit Ungarn und der "Wunderernte" von 1867 entstanden über 1.000 Aktiengesellschaften und das Schienennetz der Monarchie –  ein Indikator wirtschaftlichen Aufschwungs – hatte sich beinahe verdoppelt. In Wien kurbelte der Bau der Ringstraße die Bauwirtschaft an, die bevorstehende Weltausstellung heizte die Stimmung an. Der Boom ließ die Lebenshaltungskosten steigen. Von den hohen Lebensmittel- und Mietpreisen waren vor allem die (Industrie-)ArbeiterInnen und kleinen Gewerbetreibenden betroffen – ihre Realeinkommen sanken.

Der gründerzeitliche Wirtschaftsaufschwung fußte zu einem beträchtlichen Teil auf bloßen Spekulationen und Scheingründungen von Unternehmen und Banken. Am "schwarzen Freitag", dem 9. Mai 1873, kam es zu einem massiven Kurssturz an der Wiener Börse und zu Panikverkäufen. Selbst die Nationalbank konnte nicht mehr helfend eingreifen, weil zu wenige Reserven vorhanden waren.

Christina Linsboth